Unter die Haut - Ein Artikel in der Zeitschrift Faktor

Wasser spielte für das kleine, knapp 2.000 Einwohner Örtchen Hehlen im Landkreis Holzminden schon immer eine zentrale Rolle. So entstand im Auftrag von Ilse von Saldern Ende des 16. Jahrhunderts das herrliche Wasserschloss. Was damals als Zeichen des Reichtums weithin sichtbar errichtet wurde, ist noch heute ein touristisches Highlight der Region. Doch auch die Fabrikanten erkannten die Vorteile einer Ansiedlung am Fluss – insbesondere die Gewerke der Müller und Gerber waren auf eine sichere Wasserversorgung angewiesen. Dies gilt bis in die Gegenwart, wenngleich der bewusste Umgang mit dem Wasser und der Umwelt sich im Laufe der Zeit und insbesondere in den letzten Jahrzehnten erheblich geändert hat.

Ein vorbildliches Beispiel in dieser Hinsicht ist das Familienunternehmen ,Heller-Leder‘ in Hehlen. Die letzte vollstufige Gerberei Norddeutschlands mit rund 200 Mitarbeitern und 38 Millionen Euro Jahresumsatz gehört heute zu den großen Arbeitgebern des Landkreises. Hier werden in der Produktion bei typisch säuerlichen Gerbereigerüchen täglich etwa 1.200 europäische Rinderhäute verarbeitet. Für weltweit produzierende Unternehmen aus der Automobil- und Lederwarenindustrie – 60 Prozent der Produktion werden Möbelleder – stellt Heller-Leder hochwertige Ware her. Seit der Gründung im Jahr 1920 hat sich die Herstellung kaum verändert.

Die Branche allerdings wandelte sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm: Nur noch wenige Produzenten teilen sich den westlichen Markt und kämpfen gegen die Billigkonkurrenz – nicht nur aus Asien. „Die Lederprodukte aus diesen Ländern werden oft unter erschreckenden Umständen für Tiere und Menschen gefertigt“, sagt Thomas Strebost, geschäftsführender Gesellschafter von Heller-Leder. Er führt das Unternehmen heute in vierter Generation und verurteilt die katastrophalen Rahmenbedingungen der dortigen Fabriken. „Häufig enthalten die Produkte krebserregende, allergieauslösende und erbgutverändernde Gifte.

“ Strebost ärgert sich über den schlechten Ruf seiner Branche, den ihr diese Missstände eingebracht haben. Denn sein Unternehmen investiert bereits seit Jahrzehnten in Arbeitsschutzmaßnahmen, fortschrittliche und ressourcenschonende Technologien und setzt die für die Gerberei notwendigen Chemikalien verantwortungsbewusst und sparsam ein.

Undenkbar für die Mehrzahl der Billigkonkurrenten, die ihre Abwässer meist ungeklärt in die Flüsse leiten, ist zum Beispiel die Installation einer eigenen Kläranlage, wie sie Heller-Leder bereits 1983 in Betrieb nahm. „Wir benötigen für die Produktion etwa 1.000 Kubikmeter Quellwasser täglich. Das Wasser, das wir nach dem Durchlauf durch unsere vollbiologische Kläranlage in die Weser ableiten, verfügt nahezu über Trinkwasserqualität“, erklärt Strebost.

Umweltschutz und Nachhaltigkeit spielen, nicht nur was das Wasser angeht, in der Unternehmensphilosophie eine wichtige Rolle. Neben der hochmodernen Kläranlage verfügt Heller-Leder seit 2005 auch noch über Beteiligungen an zwei Biogasanlagen. Das Unternehmen bezieht etwa 30 Prozent seiner Energie über die Kraft-Wärme-Kopplung mit diesen Anlagen und spart so jährlich ca. 1.000 Tonnen Kohlendioxid ein. Doch konfliktfrei ist diese Thematik nicht: Denn eigentlich könnte die Energie in den Anlagen aus dem in der Produktion anfallenden Leimleder, das 30 Prozent ergiebiger als Mais ist, gewonnen werden, aber gesetzliche Vorschriften untersagen diese Nutzung. „Alle Politiker geben uns recht, doch die Gesetze werden nicht geändert“, sagt Strebost und ärgert sich nicht nur darüber. Auch im Bereich der Haarentsorgung verfügte man über eine gute Lösung. Ein Landwirt holte die filtrierte Masse beim Lederproduzenten ab und brachte sie zur Düngung aus. Beiden Parteien entstanden keine Kosten. „Diese Win-win-Situation wurde durch eine Gesetzgebung gestoppt, die die Fakten ignorierte“, sagt Strebost. Nun müssen Heller-Leder und der Landwirt dem per Gesetz zwischengeschalteten Kompostierer Gebühren entrichten. Strebost sieht sich in seinen Nachhaltigkeitsbemühungen dadurch stark beeinträchtigt und fordert mehr Beweglichkeit beim Gesetzgeber.

Bremsen lässt sich der nachhaltigkeitsorientierte Geschäftsführer durch solche bürokratischen Ärgernisse jedoch nicht. Ressourcenschonende Produktion gehört ebenfalls zu seiner Philosophie. Einkauf, Transport, Verarbeitung, Ressourcenplanung, Lagerung und Versand – die gesamte Kette im Fertigungsprozess steht unter ständiger Überwachung. Der sogenannte ,carbon footprint‘ – also der CO2-Fußabdruck –, den die Produktion in der Umwelt hinterlässt, wird stets weiter verringert. Dass es sich dabei nicht nur um Lippenbekenntnisse handelt, belegt die Erfolgsgeschichte der letzten Jahre.

Denn der heute 50-Jährige brach mit einer Firmentradition, als er 1991 die Unternehmensführung von seinem Vater übernahm: „Aufgrund der negativen Berichterstattung über unsere angeblich besonders umweltschädliche Branche, gingen wir mit der Öffentlichkeitsarbeit eher passiv um. Ich wollte das ändern und unsere Investitionen in die nachhaltige Produktion aktiv kommunizieren.“ Dazu gehört für ihn seit einigen Jahren auch die Teilnahme an Wettbewerben. Ohne zu ahnen, wie erfolgreich Heller-Leder dabei sein würde, wollte Strebost über die positiven Effekte umweltpolitischer Anstrengungen in der schwierigen Branche sprechen. „Alleine die Vorbereitung der Bewerbungsunterlagen schärft das Bewusstsein aller Beteiligten am Thema und schweißt zusammen“, so Strebost.

Aber es blieb nicht beim Ausfüllen der Unterlagen: Heller-Leder erhielt 2010 das Umweltzeichen ,Der Blaue Engel‘ und das goldene Abzeichen der Leather Working Group, die sich weltweit für nachhaltige Lederproduktion einsetzt. 2011 folgten der Gewinn des weltweiten Preises ,Tannery of the year‘ in Shanghai sowie die Finalteilnahme beim ,Querdenker Award‘. Und es folgten noch viele weitere Preise und Finalteilnahmen.

Herausragend war der Sieg beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2013. Dieser demonstriert auch die Kommunikation solcher Glücksmomente: Alle Mitarbeiter konnten sich mit dem Pokal fotografieren lassen. Die Fotos sind in einer Galerie auf der Homepage zu sehen. „Solche Auszeichnungen belohnen das ganze Team, nicht nur die Geschäftsleitung, die zu den Veranstaltungen eingeladen ist“, sagt der Geschäftsführer. „Mit diesen Aktionen stärken wir den Zusammenhalt der Belegschaft.“ Geringe Fluktuation und funktionierendes Teamwork sind die Rendite dieser Personalführung. Das gegenseitige Verständnis fördert die Unternehmensleitung außerdem durch regelmäßige Grillfeiern: Jedes Jahr organisieren ausländische Mitarbeiter derselben Nationalität ein Sommerfest, um den Kollegen ihre Kultur näherzubringen.

Diese gelebte mitarbeiterbindende Philosophie schlägt sich in der Qualität nieder und kommt damit auch bei den anspruchsvollen Kunden an. Die hochwertigen Produkte von der Weser überzeugen seit vielen Jahren die Einkäufer von Porsche und vielen anderen namhaften Unternehmen. Mit der neuen Produktlinie ,Blattwerk‘ gelang es Heller-Leder sogar, ein Leder, gegerbt mit den Blättern von Olivenbäumen, zu entwickeln. „Es handelt sich dabei um einen 100-prozentig nachhaltigen Gerbstoff zur Fertigung reinsten Leders und zum Schutz der Gesundheit und Umwelt“, erklärt der Geschäftsführer.

Ein erfolgversprechendes Produkt für die Zukunft, in die Thomas Strebost ohnehin sehr optimistisch blickt. Denn neben dem stabil laufenden Geschäft freut sich der gelernte Ledertechniker über das große Interesse seiner beiden Kinder am Unternehmen. Wie ihr Vater absolvierten sie bereits in jungen Jahren Praktika und Ferienjobs in der Fertigung. Julia studiert zurzeit in Iserlohn Business und Management, während sich Yannick im dritten Jahr der Ausbildung zum Gerber befindet. Mit Blick auf diese berufliche Entwicklung sagt der Vater: „Es ist schön, dass die beiden Interesse am Betrieb entwickelt haben, ohne unter Druck gesetzt zu werden. Gerne würde ich ihn gemeinsam mit meinen Kindern weiterführen und das Thema umweltschonende Produktion auch in Zukunft vorantreiben.“

Text: STEFAN LIEBIG
Fotografie: ALCIRO THEODORO DA SILVA

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